Carl
Orff
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Ilmenau, Suhl, Rödental | Chor GymnasiumAlbertinum
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1990 |
Rödental: Barbara Zacherl, Karl Jerolitsch,
Klaus Häger
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Pressestimmen |
Dienstag, 9.10.1990 - "Neue Presse " Coburg |
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Henning Schuster |
Wenn der Applaus noch lange nicht abreißt, obwohl die Zugabe schon vorbei
ist, wenn den Zuhörern die Freudentränen fast übers Gesicht rinnen und wenn die
Mitwirkenden so zufrieden blicken, daß sie sich am liebsten gegenseitig küssen würden -
dann muß das ein Konzert gewesen sein, das die kühnsten Erwartungen übertroffen hat. Das Jubiläum zum 100jährigen Bestehen des Chors des AnnaWerks Rödental in der Kantine desselben am vergangenen Sonntag war ein solches Ereignis. Und der Applaus war verdient. Auf dem Programm standen die Uraufführung eines "Scherzo für Orchester" vom Coburger Komponisten Gerhard Deutschmann, der auch die Leitung des gesamten Jubiläumskonzerts übernommen hatte, sowie die "Carmina burana" von Carl Orff, vertonte Lieder aus der Benediktbeurer Handschrift. Wie bombastisch die ganze Angelegenheit am Sonntag abend war, läßt sich schon aus der Liste der Mitwirkenden entnehmen: Südthüringische Philharmonie (Suhl), der Chor des Gymnasiums Albertinum (Coburg), der Konzertchor "Sängerkranz" (Coburg), der Chor des AnnaWerks (Rödental), sowie Barbara Zacherl, Karl Jerolitsch und Klaus Häger als Solisten - sie alle trugen zum Gelingen des Jubiläumskonzerts bei. Mit der Uraufführung des "Scherzo für Orchester" von Gerhard Deutschmann wurde das Konzert eröffnet. Das Streicherthema zu Beginn läßt allerdings weniger die ursprüngliche, "anmutig scherzende" Wesensart erkennen. Auch die Ähnlichkeit zu Smetanas "Moldau" erlischt relativ schnell. Eher wird der Zuhörer an die Musik eines Monumentalfilms oder eines Ritterturnieres erinnert. Auch wenn im Trio eher sanftere Töne den ruhigen Kontrast zum Beginn darstellen, im dacapo-Teil geht die dramatische Reise des Anfangs weiter. Gerhard Deutschmann hatte die Orchestermitglieder der Südthüringischen Philharmonie bei der Uraufführung seines Werkes im Griff, jedoch hätten die Bläser etwas sauberer spielen können. Komponist und MusikerInnen wurden von Publikum mit reichem Beifall belohnt. Fortuna, die "Herrscherin der Welt", bestimmt den Rahmen der "Carmina burana" von Carl Orff. Das Auf und Ab dieses Schicksalrades bringt den Menschen in ihr Leben wie auch in den Jahresablauf der Natur: Höhen und Tiefen, Schmerz und Trauer genauso wie überschäumende Freude, Zärtlichkeit und grölende Frechheit. Die sinnesfrohen, teilweise rüden aber auch lustigen latainischen Texte finden in Motiven gregorianischer, rhythmisch betonter Tanzelemente des alten bayerischen "Zwiefachen" oder auch zarter Liebesweisen alter Volkslieder ihren Platz. Der kraftvolle Einsatz des Orchesters und der SängerInnen, in Erfüllung höchster Anforderungen, entführten das Publikum von vollendeter Zartheit zum brausenden Fortissimo. Schon der Einstieg bei "O Fortuna": grandios. Eiskalt lief es einem über den Rücken, so schön war es. "Veris leta facies" (das heitere Gesicht des Frühlings) interpretierte der sogenannte kleine Chor sicher. Das Bariton-Solo "Omnia Sol temperat", gesungen von Klaus Häger aus Wuppertal, überzeugte die Zuhörer von den Qualitäten des Solisten. Temperament bewies das Orchester beim Tanz "uff dem Anger", Sanftmut bei "Chramer, gip die varwe mir". "In Taberna", als wiederum Klaus Häger sein Solo "Estuans interius" sang, kletterte die Lautstärke der MusikerInnnen allerdings so hoch, daß man teilweise den Text des Solos nicht mehr richtig verstand. Hoch hinauf ging es beim Tenor-Solo "Olim lacus colueram" (Einst schwamm ich auf den Seen umher). Und Solist Karl Jerolitsch hatte auch seine Mühe, mit der Kopfstimme seinen schwierigen Part zu bewältigen. Das Publikum sah über manche Unsicherheit aber freundlich hinweg. Als die Männer des Chores "in der Schenke saßen" hatten sie scheinbar dem Alkohol ein wenig zu sehr zugesprochen, denn der Text war teilweise nur schwer verständlich - crux latina im Oberfränkischen. "Stetit puella" intonierte die Sopranistin Barbara Zacherl beeindruckend rein. Nach "Ave formomissima" setzten alle Mitwirkenden den grandiosen Abschluß wiederum mit "Fortuna Imeratrix Mundi", der Herrscherin der Welt. |
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Dienstag, 9.10.1990 - "Coburger Tageblatt" |
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Hans Höfer |
So wie Carl Orffs genialer Wurf der "Carmina burana" vom Rad der
Glücks- und Schicksalsgöttin Fortuna umklammert wird, so ist Gerhard Deutschmann mit den
weltlichen Gesängen für Soli und Chor mit Begleitung von Instrumenten nach einer
mittelalterlichen Handschrift aus Benedekiktbeuern verbunden, denn nach einer
denkwürdigen Aufführung im Jahre 1977 auf dem Coburger Marktplatz bestimmte es Fortuna,
daß er wenige Tage nach der politischen Vereinigung Deutschlands auch den musikalischen
Schulterschluß zwischen Südthüringen und Nordfranken schuf, indem er eben diese
"Carmina burana" des "bayerischen Orpheus" Carl Orff mit Sängerinnen
und Sängern aus Coburg und Rödental und dem Orchester der Suhler Philharmonie in Suhl,
Ilmenau und Rödental zu beeindruckenden Aufführungen brachte. Das internationale
Solisten-Terzett bildeten dabei in Thüringen Kum Ok Han (Sopran), Karsten Sprenger
(Tenor) und Jürgen Kurth (Bariton) und beim Annawerk-Jubiläum Barbara Zacherl, Karl
Jerolitsch und Klaus Häger. Außerdem wirkte in Südthüringen noch die Suhler
Singakademie mit, so daß man quantitativ von einer "Sinfonie der
Vierteltausend" sprechen kann. Carl Orff hat das musikalische Weltbild unseres Jahrhunderts nicht unwesentlich verändert, doch erst mit seinen "Carmina burana" erlebte er im Jahre 1937 den breiten, durchschlagenden Erfolg. Sie vermitteln jene unverkennbaren technisch-künstlerischen Merkmale, die seither als typisch Orffisch gelten, in denen die rhythmische Grund- und Urkraft in allen Lebensregungen und -äußerungen wirksam wird. Alles in dem "szenischen Lied" der "Carmina", das das "Triptychon der Liebe" einstimmt, scheint schlechthin berückend, die lateinischen Dichtungen, die Lyrik des fahrenden Gesellen, die lebenstrunkene Mischung von Glück und Liebe, Frühling und Wein oder bizarrer Schnickschnack und Schicksalsdämonie. In der dreiteiligen Kantate mit der Idylle von Natur- und Liebesfreude, dem Lob des Essens und Trinkens und dem ritterlichen Liebesfest, die von der launischen und wandelbaren Fortuna umklammert ist, bot der von Gerhard Deutschmann optimal vorbereitete Chor, der sich aus dem Konzertchor "Sängerkranz", dem Chor des Gymnasiums Albertinum Coburg und dem Männerchor des Rödentaler Annawerkes rekrutierte, auch im dritten Anlauf die wechselhaften Stimmungen zwischen Zartheit und Derbheit oder Innigkeit und Ausgelassenheit in großer Überlegenheit. So vernahm mann bänkelsängerische Lustigkeit, sehnsuchtsvolle Weichheit, zarte Koketterie, lärmende und orgiastische Fröhlichkeit, buffonesken Spott von großer Ausdruckskraft und Ausstrahlung. Leicht und locker sowie silberhell timbrierend sang die Münchner Sopranistin Barbara Zacherl "Amor volat undique" und "Stetit puella, in großer Schlichtheit und Beseeltheit "In trutina mentis dubia", und sie meisterte die "mörderischen" A-capella-Kantilenen bis zum hohen D in "Dulcissime" mit stimmlicher Sicherheit. Die gregorianisch empfundenen Soli "Omnia Sol temperat" und "Circa mea pectora" gestaltete der Wuppertaler Bariton Klaus Häger, schlicht, klang- und ausdrucksvoll, bewährte sich mit "Estuans interius" auch im dramatischen Bereich, ehe er mit Hilfe der Mezza voce die tenoralen Höhen in "Dies, nox et omnia" modulationsreich darzustellen wußte. Buffoneskes Falsettieren wird in der Tenorszene "Olim lacus colueram" verlangt. Karl Jerolitsch aus St.Gallen sang sie fast zu schön, was auf seine enormen stimmlichen Fähigkeiten hinweist. Die Südthüringische Philharmonie aus Suhl verschaffte sich im Frankenland einen glänzenden Einstand, denn sie bewältigte die für sie nicht alltägliche Aufgabe mit Bravour. Neben der rhythmischen Brisanz legte das Orchester einen volltönenden Klangteppich, begleitet mit großer Intensität, ohne den Chor "zuzudecken" und ließ in den lyrischen Passagen aufblitzen, welcher Klangkultur es fähig ist. In dem rhythmisch verzwickten Zwiefachen, der "Uff dem anger" einstimmt, konnten sich alle Instrumentengruppen profilieren, während der "Reie" äußersten Wohlklang ausstrahlte. Mit seinem überlegenen und eindeutigen Dirigat hatte Gerhard Deutschmann den Riesenklangkörper fest im Griff und deutete die vielschichtige Partitur von Carl Orff bis ins letzte Detail vorzüglich aus. Das Jubiläumskonzert im vollbesetzten Kantinenbau des Rödentaler Annawerkes, wurde wie in Suhl und Ilmenau, mit der thüringisch-fränkischen Uraufführung eines Scherzos für Orchester von Gerhard Deutschmann würdig eingestimmt. Das motorisch geprägte, ja, Perpetuum-Mobile-Charakter aufweisende Opus, das paneuropäisches folkloristisches Kolorit versprüht, formal neoklassizistisch angelegt ist und sogar Anklänge an das barocke Concerto grosso nicht verleugnet, ist glänzend instrumentiert und überrascht mit lyrisch-expressiven Klängen im Trio. Mit diesem wirkungsvollen, harmonisch in der Romantik wurzelnden Scherzo, führte sich Gerhard Deutschmann nun auch im Thüringer Raum als versierter und effizienter Komponist ein. Unter seiner energischen Leitung legte das Suhler Orchester das Werk dynamisch differenziert aus und brachte es klangvoll und transparent zum Vortrag. Mit diesem Jubiläumskonzert zum 100jährigen Bestehen des Rödentaler Annawerk-Chores, das mit dem Reißer "Were diu werlt alle min" aus Orffs "Carmina burana" als Zugabe ausklang, wurde ein fest fundierter Grundstein für eine thüringisch-fränkische Zusammenarbeit auf dem Gebiet der Musik und ein Meilenstein im Kulturleben der jungen aufstrebenden Stadt Rödental gesetzt. |
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